Ein unerwarteter Neuanfang – Wenn die Ehe nach Jahrzehnten endet

Nach 30, 40 oder mehr gemeinsamen Jahren stehen Sie plötzlich vor den Trümmern Ihrer Lebensplanung. Die Worte „Ich will die Scheidung“ treffen Sie nicht nur emotional mit voller Wucht, sie lösen auch eine tiefe existenzielle Angst aus. Was wird aus mir? Wie soll ich meinen Lebensunterhalt bestreiten? Wo werde ich wohnen? Diese Fragen sind mehr als verständlich. Eine Trennung in Ihrem Alter ist eine doppelte Krise: der schmerzhafte Abschied von einem gemeinsamen Leben und die plötzliche, oft überwältigende Sorge um die finanzielle Zukunft.

Dieser Artikel ist Ihr erster, umfassender Wegweiser durch diese schwierige Zeit. Er soll Ihnen nicht nur rechtliche Informationen an die Hand geben, sondern vor allem eines vermitteln: Sie sind nicht schutzlos. Das deutsche Familienrecht verfügt über starke Schutzmechanismen, die gerade für Frauen nach einer langen Ehe greifen. Unser Ziel ist es, Verwirrung durch Klarheit zu ersetzen und Ihnen zu zeigen, dass Sie die Möglichkeit haben, diesen neuen Lebensabschnitt sicher und selbstbestimmt zu gestalten. Der Schlüssel dazu liegt in fundiertem Wissen und strategischem Handeln.

Praxistipp: Die ersten Schritte – Ruhe bewahren und strategisch handeln

In der ersten Phase des Schocks ist es entscheidend, einen kühlen Kopf zu bewahren und die Weichen für Ihre Zukunft richtig zu stellen.

  • Dokumente sichern: Sammeln Sie umgehend alle wichtigen finanziellen und persönlichen Unterlagen. Dazu gehören Heiratsurkunde, Kontoauszüge der letzten Jahre, Renteninformationen, Grundbuchauszüge, Kreditverträge und Steuererklärungen. Legen Sie Kopien an einem sicheren Ort an.
  • Finanzielle Bestandsaufnahme: Erstellen Sie eine erste, vorläufige Liste aller Ihnen bekannten Vermögenswerte (Bankguthaben, Immobilien, Wertpapiere, Lebensversicherungen) und Verbindlichkeiten (Hypotheken, Kredite). Dies ist der erste Schritt, um die finanzielle Gesamtsituation zu verstehen.
  • Vertrauliche Erstberatung: Suchen Sie das Gespräch mit einem spezialisierten Rechtsanwalt, bevor Sie irgendwelche mündlichen oder schriftlichen Vereinbarungen mit Ihrem Mann treffen oder größere finanzielle Entscheidungen fällen.

Teil I: Finanzielle Sicherheit bei Scheidung mit 60+: Unterhalt, Rente & Vermögen

Ihre finanzielle Sicherheit nach der Scheidung stützt sich auf drei wesentliche Säulen des deutschen Familienrechts. Jede dieser Säulen ist darauf ausgelegt, die während der Ehe entstandene wirtschaftliche Verflechtung fair aufzulösen und Ihnen eine stabile Lebensgrundlage zu sichern.

1. Nachehelicher Unterhalt: Ihr Anspruch auf finanzielle Stabilität

Nach einer langen Ehe, in der Sie möglicherweise Ihre eigene Karriere zugunsten der Familie zurückgestellt haben, ist der nacheheliche Unterhalt die zentrale Säule Ihrer finanziellen Unabhängigkeit.

Das Leitprinzip: Nacheheliche Solidarität

Der Grundgedanke des deutschen Unterhaltsrechts ist die nacheheliche Solidarität. Dieses Prinzip besagt, dass die Ehe eine Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft war, aus der auch nach der Scheidung eine gegenseitige Verantwortung erwächst. Es geht hierbei nicht um Almosen, sondern um einen rechtlich verankerten Ausgleich für die in der Ehe gemeinsam getroffenen Lebensentscheidungen und die daraus entstandene wirtschaftliche Abhängigkeit. Das Gesetz erkennt an, dass die Rollenverteilung in der Ehe – oft die Frau als Haushaltsführerin und der Mann als Hauptverdiener – zu beruflichen und damit finanziellen Nachteilen für einen Partner geführt hat, die nach der Scheidung ausgeglichen werden müssen.  

Ihr Hauptanspruch: Unterhalt wegen Alters (§ 1571 BGB)

Für Frauen über 60 ist der Unterhalt wegen Alters, geregelt in § 1571 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), der wichtigste Anspruch. Er stellt sicher, dass Sie Ihren Lebensunterhalt nicht durch eine Erwerbstätigkeit sichern müssen, wenn dies von Ihnen aufgrund Ihres Alters nicht mehr erwartet werden kann. Die Voraussetzungen dafür sind klar definiert :  

  1. Alter: Von Ihnen kann keine Erwerbstätigkeit mehr erwartet werden. Eine feste Altersgrenze gibt es nicht, die Gerichte orientieren sich jedoch stark an der Regelaltersgrenze für die gesetzliche Rente.Faktoren wie Ihr Gesundheitszustand, Ihr erlernter Beruf (eine körperlich anstrengende Tätigkeit ist weniger lange zumutbar als eine Bürotätigkeit) und Ihre tatsächlichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt können diese Grenze auch nach unten verschieben.  
  2. Bedürftigkeit: Sie können mit Ihrem eigenen Einkommen (z. B. aus einer kleinen Rente oder Mieteinnahmen) und Vermögen den während der Ehe gelebten Lebensstandard nicht aufrechterhalten.
  3. Leistungsfähigkeit: Ihr Ex-Mann muss finanziell in der Lage sein, den Unterhalt zu zahlen. Sein Einkommen muss über dem sogenannten Selbstbehalt liegen, also dem Betrag, der ihm für seinen eigenen Lebensunterhalt zusteht.  

Berechnungsgrundlage: Die ehelichen Lebensverhältnisse (§ 1578 BGB)

Die Höhe des Unterhalts bemisst sich nach den „ehelichen Lebensverhältnissen“. Das bedeutet, Sie haben Anspruch darauf, Ihren Lebensstandard, den Sie während der Ehe genossen haben, grundsätzlich beizubehalten. Es geht nicht nur um die Deckung von Grundbedürfnissen wie Miete und Essen, sondern auch um die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, Urlaube, kulturelle Aktivitäten und die Absicherung im Krankheitsfall – also um den gesamten Lebensbedarf, wie er in der Ehe geprägt wurde.  

Dauer des Anspruchs: Kein Automatismus, aber starker Schutz nach langer Ehe

Es ist wichtig, die aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) realistisch einzuschätzen. Die frühere „Lebensstandardgarantie auf Lebenszeit“ wurde aufgeweicht. Grundsätzlich kann nachehelicher Unterhalt heute befristet oder in der Höhe herabgesetzt werden. Allerdings ist die Ehedauer einer der wichtigsten Faktoren in der Billigkeitsabwägung. Bei einer Ehe von 20, 30 oder mehr Jahren, insbesondere wenn ehebedingte Nachteile (wie die Aufgabe der eigenen Berufstätigkeit zur Kindererziehung) vorliegen, ist eine Befristung des Altersunterhalts die absolute Ausnahme. Für Frauen über 60 nach einer langen Ehe wird der Unterhalt wegen Alters in der Regel unbefristet gewährt.  

Praxistipp: Das Fundament Ihres Anspruchs – So dokumentieren Sie die ehelichen Lebensverhältnisse

Der Nachweis des ehelichen Lebensstandards ist die wichtigste Aufgabe, um Ihren Unterhaltsanspruch in voller Höhe durchzusetzen. Beginnen Sie sofort mit der Erstellung eines „Lebensstandard-Tagebuchs“ für die letzten drei bis fünf Jahre Ihrer Ehe.

  • Fixkosten auflisten: Miete oder Kreditraten, Nebenkosten, Versicherungen, Kosten für Pkw.
  • Variable Kosten dokumentieren: Ausgaben für Lebensmittel, Kleidung, Drogerieartikel.
  • Luxus und Lebensstil belegen: Sammeln Sie Belege für Urlaubsreisen (Flugtickets, Hotelrechnungen), regelmäßige Restaurantbesuche, Mitgliedschaften in Vereinen (z. B. Golf- oder Tennisclub), Abonnements für Theater oder Konzerte und Ausgaben für Hobbys.
  • Beweismittel sichern: Kontoauszüge, Kreditkartenabrechnungen und Quittungen sind unerlässlich, um Ihre Aufstellungen zu untermauern. Diese Dokumentation ist das stärkste Beweismittel vor Gericht.

Die Ausnahme: Wann der Unterhaltsanspruch verloren gehen kann (Verwirkung, § 1579 BGB)

So stark Ihr Anspruch auch sein mag, er ist nicht unantastbar. Das Gesetz sieht in § 1579 BGB Fälle vor, in denen der Unterhalt wegen „grober Unbilligkeit“ gekürzt oder sogar komplett gestrichen werden kann. Das Prinzip der nachehelichen Solidarität, das Ihren Anspruch begründet, ist keine Einbahnstraße. Wenn Sie selbst diese Solidarität fundamental verletzen, können Sie sich später nicht mehr darauf berufen. Ein solches Verhalten kann die finanzielle Grundlage Ihrer Zukunft gefährden. Beispiele für ein solches Fehlverhalten sind :  

  • Schwerwiegendes Fehlverhalten: Dazu zählen körperliche Angriffe gegen den Ex-Partner oder das Erstatten einer nachweislich falschen Strafanzeige, die seine berufliche oder soziale Existenz bedroht.  
  • Eingehen einer neuen verfestigten Lebensgemeinschaft: Wenn Sie mit einem neuen Partner in einer eheähnlichen Gemeinschaft leben, geht der Gesetzgeber davon aus, dass Sie sich aus der Solidarität der früheren Ehe gelöst haben. Eine solche Gemeinschaft gilt in der Regel nach zwei bis drei Jahren des Zusammenlebens als verfestigt.  

Diese Regelungen verdeutlichen, wie wichtig eine besonnene und strategische Vorgehensweise ist. Verständliche emotionale Reaktionen wie Wut und Enttäuschung dürfen nicht zu unüberlegten Handlungen führen, die Ihre eigenen, rechtlich fundierten Ansprüche untergraben. Eine anwaltliche Begleitung dient hier nicht nur der Durchsetzung Ihrer Rechte, sondern auch als Schutz vor juristisch selbstschädigendem Verhalten.

2. Der Versorgungsausgleich: Die gerechte Teilung der Rentenansprüche

Neben dem laufenden Unterhalt ist der Versorgungsausgleich die zweite entscheidende Säule Ihrer Altersvorsorge. Er stellt sicher, dass die während der Ehe erworbenen Rentenansprüche fair geteilt werden.

Das Kernprinzip: Halbe-Halbe bei der Rente

Das Prinzip ist einfach und gerecht: Alle Rentenanwartschaften, die Sie und Ihr Mann während der Ehezeit – vom Monat der Heirat bis zum Monat der Zustellung des Scheidungsantrags – erworben haben, werden zusammengerechnet und hälftig geteilt. Dies betrifft alle Formen der Altersvorsorge:  

  • Gesetzliche Rentenversicherung
  • Betriebliche Altersvorsorge
  • Beamtenversorgung
  • Private Rentenversicherungen (z. B. Riester- oder Rürup-Renten)   

Der Ausgleich erfolgt durch die Übertragung von sogenannten „Rentenpunkten“ oder Anrechten, nicht durch eine einmalige Geldzahlung. Dadurch erhalten Sie einen eigenen, von Ihrem Ex-Mann unabhängigen Rentenanspruch. Dies ist besonders wichtig für Frauen, die wegen Kindererziehung und Haushaltsführung nur wenige oder gar keine eigenen Rentenpunkte sammeln konnten.  

Der Ablauf in der Praxis

Der Versorgungsausgleich wird vom Familiengericht im Rahmen des Scheidungsverfahrens von Amts wegen, also automatisch, durchgeführt. Sie müssen keinen gesonderten Antrag stellen. Der Ablauf ist standardisiert :  

  1. Das Gericht sendet beiden Ehepartnern Fragebögen zu ihren Rentenanwartschaften.
  2. Das Gericht fordert bei den jeweiligen Versorgungsträgern (z. B. Deutsche Rentenversicherung, Versicherungsgesellschaften) Auskünfte über die in der Ehezeit erworbenen Anrechte an.
  3. Die Versorgungsträger berechnen die Werte und teilen sie dem Gericht mit.
  4. Das Gericht fasst alle Werte zusammen, teilt sie hälftig und erlässt einen Beschluss, der die Übertragung der Anrechte anordnet.

Sonderfall: Scheidung im Rentenalter

Da Sie bereits über 60 sind, betrifft Sie dieser Fall direkt. Auch wenn Sie oder Ihr Mann bereits Rente beziehen, findet der Versorgungsausgleich statt. Die Entscheidung des Gerichts führt zu einer sofortigen Neuberechnung Ihrer laufenden Renten. Ihre Rente wird ab dem Monat, der auf die Rechtskraft der Scheidung folgt, um die Ihnen übertragenen Anteile erhöht. Die Rente Ihres Mannes wird entsprechend gekürzt. Diese Anpassung geschieht automatisch durch die Rentenversicherungsträger.  

Praxistipp: Rentenkonto klären – Fordern Sie eine aktuelle Rentenauskunft an und prüfen Sie diese auf Lücken

Fordern Sie bei der Deutschen Rentenversicherung einen aktuellen und vollständigen Versicherungsverlauf an. Prüfen Sie diesen akribisch auf Vollständigkeit. Oft fehlen wichtige Zeiten, die für Ihre Rente und später für die Krankenversicherung entscheidend sein können. Achten Sie insbesondere auf die korrekte Anrechnung von:

  • Kindererziehungszeiten: Diese sind wertvolle Beitragszeiten.
  • Zeiten der Pflege von Angehörigen.
  • Schul- und Ausbildungszeiten.
  • Zeiten geringfügiger Beschäftigung (Minijobs).

Eine frühzeitige Klärung dieser Lücken sichert Ihnen nicht nur eine höhere Rente, sondern kann auch den Ausschlag für den Zugang zur günstigeren Krankenversicherung der Rentner geben.

3. Der Zugewinnausgleich: Was geschieht mit Haus, Erspartem und Vermögen?

Die dritte Säule Ihrer finanziellen Absicherung ist der Zugewinnausgleich. Er regelt die Aufteilung des Vermögens, das während der Ehe gemeinsam erwirtschaftet wurde.

Das Kernprinzip: Teilung des gemeinsam Erwirtschafteten

Wenn Sie keinen Ehevertrag geschlossen haben, leben Sie im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Das bedeutet: Das Vermögen, das jeder von Ihnen in die Ehe mitgebracht hat (Anfangsvermögen), und das, was Sie durch Erbschaft oder Schenkung erhalten haben, bleibt Ihr alleiniges Eigentum. Geteilt wird jedoch der Wertzuwachs (der Zugewinn), den Ihr beider Vermögen während der Ehe erfahren hat.  

Die Berechnung ist im Prinzip einfach: Für jeden Ehepartner wird die Differenz zwischen seinem Endvermögen (am Tag der Zustellung des Scheidungsantrags) und seinem Anfangsvermögen (am Tag der Heirat) ermittelt. Derjenige mit dem höheren Zugewinn muss dem anderen die Hälfte der Differenz als Geldbetrag auszahlen.  

Das zentrale Vermögen: Das gemeinsame Haus

In den meisten langjährigen Ehen ist eine Immobilie der größte und emotionalste Vermögenswert. Da der Zugewinnausgleich ein reiner Geldanspruch ist, stellt sich die Frage, wie mit dem Haus verfahren wird, wenn eine Auszahlung des Partners schwierig ist. Es gibt mehrere Optionen, die sorgfältig abgewogen werden müssen.  

Optionen für die gemeinsame Immobilie im Überblick

Bei der Auseinandersetzung um die gemeinsame Immobilie gibt es verschiedene Lösungswege, die jeweils eigene Vor- und Nachteile haben :  

  • Auszahlung (Ein Partner übernimmt): Diese Option ermöglicht es Ihnen, im gewohnten Umfeld zu bleiben, was emotionale Stabilität bietet. Der Nachteil ist die oft hohe finanzielle Belastung. Eine entscheidende Hürde ist, dass die Bank den anderen Partner aus dem Kreditvertrag entlassen muss, was häufig schwierig ist. Praxistipp: Klären Sie vorab verbindlich mit Ihrer Bank, ob eine Umschuldung auf Sie allein überhaupt möglich ist.
  • Verkauf am freien Markt: Der Verkauf erzielt in der Regel den höchsten Erlös, schafft eine klare finanzielle Trennung und verschafft beiden Partnern Liquidität. Emotional kann der Abschied vom langjährigen Zuhause jedoch schwerfallen, und ein Verkauf unter Zeitdruck kann den Preis senken. Praxistipp: Um Konflikte zu vermeiden, sollten Sie sich gemeinsam auf einen neutralen Makler und eine realistische Preisvorstellung einigen.
  • Teilungsversteigerung (Zwangsversteigerung): Wenn absolut keine Einigung möglich ist, kann diese Option eine Lösung erzwingen. Allerdings ist sie wirtschaftlich die schlechteste Wahl. Der Erlös liegt oft deutlich unter dem Marktwert, und es fallen hohe Verfahrenskosten an, die beide Partner tragen müssen. Zudem verlieren Sie die Kontrolle über den Verkaufsprozess. Praxistipp: Dies ist die letzte Option und sollte nur mit anwaltlicher Hilfe in Erwägung gezogen werden, um sie möglichst zu vermeiden.  
  • Realteilung (Aufteilung in zwei Wohneinheiten): Hierbei wird das Haus baulich in zwei getrennte Wohneinheiten aufgeteilt. Dies kann eine Lösung sein, wenn beide Partner (getrennt) im Haus bleiben möchten. Die Nachteile sind hohe Umbaukosten und die Tatsache, dass eine bauliche Eignung der Immobilie Voraussetzung ist. Zudem erfordert es weiterhin eine Art von "Nachbarschaft". Praxistipp:Prüfen Sie unbedingt mit einem Architekten und dem zuständigen Bauamt, ob eine solche Teilung baurechtlich überhaupt genehmigungsfähig ist.  

Sonderfall: Haus im Alleineigentum des Mannes

Viele Frauen glauben fälschlicherweise, sie hätten keine Ansprüche am Haus, wenn nur der Mann im Grundbuch steht. Das ist ein gefährlicher Irrtum. Auch wenn Ihr Mann Alleineigentümer ist, unterliegt die Wertsteigerung der Immobilie während der Ehe dem Zugewinnausgleich. Dies umfasst Wertzuwächse durch:  

  • Tilgung von Krediten mit gemeinsamen Einkommen.
  • Gemeinsam finanzierte Renovierungen oder Modernisierungen.
  • Allgemeine Markt- und Inflationsentwicklung.  

Eine Ausnahme bildet Vermögen, das durch Erbschaft oder Schenkung erworben wurde. Der geerbte Wert selbst fällt nicht in den Zugewinn, aber jede Wertsteigerung dieses Vermögens nach dem Erwerb während der Ehe ist ausgleichspflichtig.  

Praxistipp: Faire Bewertung sichern – Bestehen Sie auf einem unabhängigen Gutachten für Ihre Immobilie

Die Bewertung der Immobilie ist der Dreh- und Angelpunkt des Zugewinnausgleichs. Verlassen Sie sich niemals auf eine Schätzung Ihres Mannes oder eines von ihm beauftragten Maklers. Bestehen Sie auf einem Gutachten durch einen unabhängigen, zertifizierten Sachverständigen. Ein faires Gutachten kann den Ausgleichsanspruch um Zehntausende von Euro erhöhen und ist eine entscheidende Investition in eine gerechte Vermögensteilung.  

Teil II: Praktische Lebensfragen – Gesundheit, Steuern und emotionale Stärke

Eine Scheidung regelt nicht nur die großen finanziellen Säulen, sondern wirft auch eine Reihe sehr praktischer Fragen auf, die für Ihre Lebensqualität und Sicherheit von entscheidender Bedeutung sind.

4. Ihre Gesundheit im Fokus: Die Krankenversicherung nach der Scheidung

Für viele Frauen, die jahrzehntelang über ihren Mann versichert waren, ist dies einer der beängstigendsten Aspekte. Doch auch hier gibt es klare gesetzliche Regelungen, die einen lückenlosen Schutz gewährleisten.

Die kritische Veränderung: Das Ende der beitragsfreien Familienversicherung

Mit dem Tag, an dem das Scheidungsurteil rechtskräftig wird, endet Ihre kostenlose Mitversicherung in der gesetzlichen Krankenkasse Ihres Mannes – die sogenannte Familienversicherung – automatisch und unwiderruflich.  

Das Gesetz stellt jedoch sicher, dass Sie zu keinem Zeitpunkt ohne Versicherungsschutz sind. Sie werden automatisch zu einem „freiwilligen Mitglied“ in Ihrer bisherigen Krankenkasse. Sie müssen dafür nichts tun, die Kasse wird Sie über diesen Übergang informieren.  

Die Herausforderung: Die Kosten der freiwilligen Versicherung

Diese neue freiwillige Mitgliedschaft ist beitragspflichtig. Die Höhe der Beiträge berechnet sich prozentual aus Ihrer gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Dazu zählen alle Ihre Einkünfte :  

  • Ihre gesetzliche Rente (inklusive der Anteile aus dem Versorgungsausgleich)
  • Betriebsrenten
  • Der nacheheliche Unterhalt, den Sie erhalten   
  • Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung
  • Kapitalerträge

Haben Sie nur sehr geringe oder gar keine eigenen Einkünfte, wird ein Mindestbeitrag auf Basis eines fiktiven Mindesteinkommens erhoben, was eine erhebliche finanzielle Belastung darstellen kann.  

Das Ziel: Der Weg in die günstigere Krankenversicherung der Rentner (KVdR)

Ihr Ziel sollte es sein, die Voraussetzungen für die Krankenversicherung der Rentner (KVdR) zu erfüllen. Die KVdR ist keine eigene Krankenkasse, sondern ein besonderer, privilegierter Status innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung. Der entscheidende Vorteil: Die Beiträge werden in der Regel nur auf die gesetzliche Rente, Versorgungsbezüge und Arbeitseinkommen erhoben. Andere Einkommensarten wie private Renten, Mieteinnahmen oder Kapitalerträge bleiben oft beitragsfrei, was zu einer erheblichen monatlichen Ersparnis führt.  

Die Hürde: Die 9/10-Regelung

Um in die KVdR aufgenommen zu werden, müssen Sie die sogenannte Vorversicherungszeit erfüllen. Das bedeutet, Sie müssen in der zweiten Hälfte Ihres Erwerbslebens (von der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Rentenantragstellung) zu mindestens 90 Prozent gesetzlich krankenversichert gewesen sein – entweder als eigenes Mitglied oder im Rahmen der Familienversicherung.  

Die Rettungsleine: Anrechnung von Kindererziehungszeiten

Für viele Frauen, die lange Zeit Hausfrau waren, ist diese 90-Prozent-Hürde auf den ersten Blick unerreichbar. Hier hat der Gesetzgeber jedoch eine entscheidende Regelung geschaffen: Für jedes Kind werden pauschal drei Jahre an Versicherungszeit angerechnet. Diese Zeiten werden jedem Elternteil gutgeschrieben und können oft den Ausschlag geben, um die 9/10-Regelung doch noch zu erfüllen.  

Die komplexen Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Scheidungsfolgen erfordern eine ganzheitliche Strategie. Der Versorgungsausgleich bestimmt Ihre Rentenhöhe, der Unterhalt ergänzt Ihr Einkommen, und die Kosten Ihrer neuen, obligatorischen Krankenversicherung hängen von all diesen Faktoren ab. Der Ihnen zustehende Unterhalt muss nach § 1578 Abs. 2 BGB auch die Kosten für eine angemessene Krankenversicherung abdecken. Gleichzeitig fließen die Unterhaltszahlungen in die Berechnung Ihrer Krankenkassenbeiträge ein. Diese zirkuläre Abhängigkeit macht eine professionelle anwaltliche Beratung unerlässlich, um sicherzustellen, dass Ihr Unterhaltsanspruch hoch genug angesetzt wird, um sowohl Ihren Lebensstandard als auch Ihre Gesundheitsversorgung zu sichern.  

Praxistipp: Vorversicherungszeiten prüfen – Stellen Sie frühzeitig einen Antrag bei Ihrer Krankenkasse zur Klärung Ihres Status

Warten Sie nicht bis zum Rentenbescheid. Kontaktieren Sie Ihre Krankenkasse bereits während des Scheidungsverfahrens und beantragen Sie eine Prüfung Ihrer Vorversicherungszeiten für die KVdR. Reichen Sie die Geburtsurkunden Ihrer Kinder ein und bitten Sie um eine vorläufige Einschätzung. Dies verschafft Ihnen frühzeitig Klarheit und ermöglicht eine vorausschauende Finanzplanung.

5. Steuern und Finanzen: Fallstricke vermeiden, Vorteile nutzen

Die finanziellen Regelungen einer Scheidung haben auch steuerliche Konsequenzen, die Sie kennen und steuern sollten, um teure Fehler zu vermeiden.

Steuer auf Unterhalt: Das begrenzte Realsplitting (Anlage U)

Ihr Ex-Mann kann die an Sie gezahlten Unterhaltsleistungen bis zu einem Höchstbetrag von 13.805 Euro pro Jahr als Sonderausgaben von der Steuer absetzen. Dies reduziert seine Steuerlast erheblich. Die Voraussetzung dafür ist jedoch, dass Sie zustimmen (durch Unterschrift auf der „Anlage U“) und die erhaltenen Zahlungen im Gegenzug als eigenes Einkommen versteuern. Ihr Ex-Mann hat einen rechtlichen Anspruch auf Ihre Zustimmung, ist aber im Gegenzug verpflichtet, Ihnen alle daraus entstehenden Nachteile (höhere Steuern, eventuell höhere Krankenkassenbeiträge) vollständig zu erstatten.  

Steuern bei Immobilienübertragung: Grunderwerbsteuer und Spekulationssteuer

  • Die gute Nachricht: Wenn Sie den Miteigentumsanteil am Haus von Ihrem Mann übernehmen oder umgekehrt, fällt im Rahmen der Vermögensauseinandersetzung nach der Scheidung keine Grunderwerbsteuer an. Dies ist in § 3 Nr. 5 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) geregelt.  
  • Die versteckte Gefahr: Die Spekulationssteuer. Wenn Sie Ihren Anteil am Haus an Ihren Mann verkaufen (oder umgekehrt) und seit dem Kauf weniger als zehn Jahre vergangen sind, kann auf den Veräußerungsgewinn Einkommensteuer anfallen. Eine Ausnahme gilt für selbstgenutzte Immobilien. Problematisch wird es jedoch, wenn der verkaufende Partner bereits aus dem Haus ausgezogen ist. Die Steuerbefreiung greift nur, wenn die Immobilie im Jahr des Verkaufs und in den beiden vorangegangenen Jahren selbst bewohnt wurde. Ein Auszug im Vorjahr kann bereits zu einer vollen Steuerpflicht führen.  

Hier zeigt sich ein typischer Konflikt zwischen emotional nachvollziehbarem Handeln und finanzieller Vernunft. Der Wunsch, nach der Trennung sofort räumliche Distanz zu schaffen, ist verständlich. Ein überstürzter Auszug kann jedoch eine Steuerfalle auslösen, die Zehntausende von Euro kosten kann. Eine vorausschauende anwaltliche und steuerliche Beratung kann die Übertragung so gestalten und terminieren, dass diese Steuer vermieden wird. Dies ist ein unschätzbarer Mehrwert, der die Wichtigkeit einer professionellen Begleitung unterstreicht.

Praxistipp: Holen Sie sich eine Zweitmeinung ein, bevor Sie steuerlichen Vereinbarungen zustimmen

Unterschreiben Sie niemals eine „Anlage U“ oder einen Vertrag zur Immobilienübertragung, ohne dass Ihr eigener Anwalt und gegebenenfalls ein Steuerberater die Vereinbarung geprüft haben. Stellen Sie sicher, dass alle potenziellen Nachteile für Sie exakt berechnet und vollständig ausgeglichen werden.

6. Sie sind nicht allein: Netzwerke und Unterstützung in der neuen Lebensphase

Eine Scheidung im fortgeschrittenen Alter ist nicht nur eine finanzielle, sondern auch eine immense emotionale Belastung. Das Gefühl der Einsamkeit, der Verlust des sozialen Umfelds und die Trauer über das Ende eines Lebensabschnitts sind tiefgreifend. Es ist entscheidend zu wissen, dass Sie mit diesen Gefühlen nicht allein sind und es zahlreiche Anlaufstellen für Unterstützung gibt.  

  • Für ein offenes Ohr:
    • Silbernetz e.V.: Speziell für Menschen ab 60 Jahren, täglich erreichbar für ein anonymes und vertrauliches Gespräch. Telefon: 0800 4 70 80 90.  
    • TelefonSeelsorge: Rund um die Uhr erreichbar für Menschen in jeder Lebenskrise. Telefon: 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222.  
  • Für Beratung und Begleitung vor Ort:
    • Frauenberatungsstellen: Bieten spezialisierte Beratung für Frauen in Trennungssituationen, oft auch juristische Erstinformation und Gruppenangebote.  
    • Caritas und Deutsches Rotes Kreuz (DRK): Bieten bundesweit Trennungs- und Scheidungsberatung an, die bei der emotionalen Bewältigung und Neuorientierung hilft.  
  • Für den Austausch mit Gleichgesinnten:
    • Selbsthilfegruppen: In vielen Städten gibt es Gruppen speziell für Menschen, die eine Trennung oder Scheidung im Alter erleben. Der Austausch mit anderen Betroffenen kann sehr heilsam sein.  

Praxistipp: Bauen Sie aktiv ein neues soziales Netz auf – es ist ein wichtiger Teil Ihres Neuanfangs

Warten Sie nicht darauf, dass andere auf Sie zukommen. Werden Sie selbst aktiv.Treten Sie einem Verein bei, engagieren Sie sich ehrenamtlich oder suchen Sie den Kontakt zu einer der genannten Gruppen. Der Wiederaufbau eines eigenen sozialen Umfelds ist genauso wichtig für Ihr zukünftiges Wohlbefinden wie die finanzielle Absicherung.

Ihr Weg in eine sichere Zukunft – Handeln Sie jetzt

Eine späte Scheidung ist zweifellos eine der größten Herausforderungen Ihres Lebens. Doch sie ist auch der Beginn eines neuen Kapitels, das Sie selbst gestalten können. Wie dieser Wegweiser gezeigt hat, bietet das deutsche Recht ein solides Fundament, um Ihnen eine sichere und würdevolle Zukunft zu ermöglichen. Die Prinzipien der nachehelichen Solidarität, des gerechten Rentenausgleichs und der fairen Vermögensteilung sind auf Ihrer Seite.

Die Komplexität der Themen – von Unterhaltsberechnungen, die sich auf Krankenkassenbeiträge auswirken, bis hin zu Immobilienübertragungen mit steuerlichen Fallstricken – macht jedoch deutlich, dass eine erfolgreiche Navigation dieses Prozesses spezialisierte anwaltliche Expertise erfordert. Es geht darum, Ihre Rechte nicht nur zu kennen, sondern sie auch strategisch und vorausschauend durchzusetzen.

Der erste Schritt ist oft der schwerste, aber er ist entscheidend für den Rest Ihres Lebens. Eine fundierte Erstberatung gibt Ihnen nicht nur Klarheit über Ihre Rechte, sondern auch einen strategischen Fahrplan und das beruhigende Gefühl, die Kontrolle zurückzugewinnen. Kontaktieren Sie unsere Kanzlei für ein vertrauliches Gespräch. Wir hören Ihnen zu und zeigen Ihnen den Weg, wie Sie Ihre Zukunft sicher und selbstbestimmt gestalten können.

Matthias Prinz

Rechtsanwalt

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