Die besondere Herausforderung – Wenn das Familienvermögen eine Firma ist

Die Nachricht, dass Ihr Mann die Trennung und Scheidung will, ist ein emotionaler Schock. Doch wenn Ihr Mann Unternehmer ist, geht es um weit mehr als das Ende einer Ehe. Es ist eine existenzielle wirtschaftliche Neuordnung, bei der Ihr gemeinsames Lebenswerk und Ihre finanzielle Zukunft auf dem Spiel stehen. Die enge Verflechtung von privatem Vermögen und dem Unternehmen macht diese Art der Scheidung ungleich komplexer und konfliktträchtiger als andere.  

In dieser Ausnahmesituation ist es entscheidend, den anfänglichen Schock in strategisches, informiertes Handeln umzuwandeln. Dieser Artikel ist Ihr Fahrplan durch die Untiefen des Familien- und Gesellschaftsrechts. Er zeigt Ihnen, wie Sie Ihre Rechte wahren und eine faire Basis für Ihren neuen Lebensabschnitt schaffen. Die Auseinandersetzung wird sich auf zwei zentrale finanzielle Säulen stützen:

  1. Der Zugewinnausgleich: Hierbei geht es um die gerechte Teilung des während der Ehe erwirtschafteten Vermögens. Der größte und komplizierteste Posten ist dabei fast immer das Unternehmen Ihres Mannes.
  2. Der nacheheliche Unterhalt: Dieser sichert Ihren zukünftigen Lebensstandard, der sich an den Verhältnissen orientiert, die während Ihrer Ehe geherrscht haben.

Das übergeordnete Ziel dieses Wegweisers ist es, die Informationsasymmetrie zwischen Ihnen und Ihrem Mann abzubauen. Sie sollen zu einer ebenbürtigen Verhandlungspartnerin werden, die ihre Rechte kennt, die Taktiken der Gegenseite durchschaut und ihre Ansprüche konsequent durchsetzen kann.

Kapitel 1: Die ersten, entscheidenden Schritte – So übernehmen Sie die Kontrolle

Die psychologische Wende: Vom Schock zur Aktion

Es ist verständlich und menschlich, nach einer solchen Nachricht wie gelähmt zu sein. Doch in der Situation einer Unternehmerscheidung ist Zeit ein kritischer Faktor. Jeder Tag des Zögerns kann Ihre Position schwächen, da möglicherweise im Hintergrund bereits Fakten geschaffen werden. Der wichtigste erste Schritt ist daher die mentale Entscheidung, trotz der emotionalen Belastung sofort handlungsfähig zu werden und die Kontrolle über Ihre Situation zu übernehmen.

Beweissicherung – Ihr Fundament für alle Ansprüche

Bevor Ihr Mann den Zugang zu gemeinsamen Unterlagen sperrt oder Sie aus dem gemeinsamen Haus ausziehen, ist die Sicherung von Dokumenten von entscheidender Bedeutung. Dies ist kein Akt des Misstrauens, sondern die Schaffung einer soliden Faktengrundlage für alle späteren Verhandlungen und die Arbeit von Anwälten und Gutachtern. Ohne diese Unterlagen agieren Sie im Blindflug. Fertigen Sie Kopien, Scans oder Fotos von allem an, was finanziell relevant ist. Dazu gehören insbesondere:  

  • Private und geschäftliche Kontoauszüge der letzten Jahre
  • Steuererklärungen und Steuerbescheide (privat und geschäftlich)
  • Bilanzen, Gewinn- und Verlustrechnungen (GuV) sowie Jahresabschlüsse des Unternehmens
  • Gesellschaftsverträge, die Aufschluss über Beteiligungen und Regelungen geben
  • Kredit- und Darlehensverträge
  • Grundbuchauszüge von Immobilien
  • Versicherungspolicen, insbesondere Lebensversicherungen mit Rückkaufswerten
  • Dokumentationen über Schenkungen oder Erbschaften, die einer von Ihnen während der Ehe erhalten hat

Die Wahl des richtigen Anwalts: Mehr als nur ein Scheidungsanwalt

Die Wahl des Rechtsbeistands ist die wichtigste strategische Entscheidung, die Sie treffen werden. Ein generalistischer Anwalt für Familienrecht ist hier oft überfordert. Sie benötigen einen Spezialisten, der die Denkweise eines Unternehmers versteht und gleichzeitig über tiefgreifende Expertise im Familienrecht verfügt. Als Kanzlei, die selbst unternehmerisch tätig ist, bringen wir genau dieses Verständnis für die wirtschaftlichen und persönlichen Herausforderungen mit, die mit einer Firma verbunden sind. Wir sind darauf spezialisiert, die komplexen Schnittstellen zwischen Familienrecht und unternehmerischem Vermögen zu managen. Ein solcher Anwalt muss in der Lage sein, komplexe Unternehmensbewertungen zu verstehen, Sachverständigengutachten kritisch zu prüfen und die typischen Taktiken einer Unternehmerscheidung zu durchschauen.  

Der Auskunftsanspruch (§ 1379 BGB): Ihr schärfstes Schwert

Eines Ihrer fundamentalsten Rechte ist der gesetzliche Auskunftsanspruch. Gemäß § 1379 BGB ist jeder Ehegatte verpflichtet, dem anderen lückenlos und unter Vorlage von Belegen Auskunft über sein Vermögen zu erteilen. Dieser Anspruch bezieht sich auf drei entscheidende Stichtage: den Tag der Eheschließung (für das Anfangsvermögen), den Tag der Trennung und den Tag der Zustellung des Scheidungsantrags (für das Endvermögen).  

Sollte Ihr Mann die Auskunft verweigern, unvollständige oder offensichtlich falsche Angaben machen, gibt es klare Eskalationsstufen, die Ihr Anwalt einleiten wird :  

  1. Schriftliche Aufforderung: Eine formale Aufforderung zur Auskunftserteilung mit einer klaren Fristsetzung.
  2. Belegvorlage: Die Forderung, jede einzelne Vermögensposition mit aussagekräftigen Belegen (z.B. Kontoauszüge, Depotauszüge, Saldenbestätigungen) nachzuweisen.  
  3. Eidesstattliche Versicherung: Wenn begründete Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Auskunft bestehen, kann Ihr Mann gerichtlich dazu verpflichtet werden, an Eides statt zu versichern, dass seine Angaben korrekt sind. Ein Meineid ist eine Straftat.  

Die Art und Weise, wie Ihr Mann auf diese Auskunftsersuchen reagiert, ist mehr als nur eine Informationsbeschaffung. Sie ist ein strategisches Werkzeug. Zögert er? Liefert er nur oberflächliche Daten? Weigert er sich, Belege vorzulegen? Seine Reaktion ist ein erster, wertvoller Indikator für seine Taktik und zeigt auf, wo er möglicherweise etwas zu verbergen hat. Es ist ein Test seiner Kooperationsbereitschaft und gibt Ihrem Anwalt wichtige Hinweise auf die zu erwartende Konfliktintensität.

Checkliste: Sofortmaßnahmen nach der Trennungsankündigung

  • [ ] Kopien/Scans aller relevanten Finanzdokumente anfertigen (privat und geschäftlich).
  • [ ] Ein detailliertes Tagebuch über die Ereignisse, Gespräche und finanzielle Transaktionen ab dem Trennungszeitpunkt führen.
  • [ ] Einen auf Unternehmerscheidungen spezialisierten Fachanwalt für Familienrecht konsultieren.
  • [ ] Eigene Bankkonten und Zugänge sichern.
  • [ ] Über den Anwalt den formalen Auskunftsanspruch nach § 1379 BGB geltend machen lassen.
  • [ ] Keine Dokumente oder Vereinbarungen ohne anwaltliche Prüfung unterzeichnen.

Kapitel 2: Das Herzstück – Der Wert des Unternehmens und wie er ermittelt wird

Grundlagen: Die Zugewinngemeinschaft als gesetzlicher Normalfall

Sofern Sie keinen Ehevertrag geschlossen haben, der die Gütertrennung vorsieht, leben Sie im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft (§ 1363 BGB). Das bedeutet: Das Vermögen, das jeder Ehepartner in die Ehe eingebracht hat und währenddessen erbt, bleibt sein alleiniges Eigentum. Geteilt wird bei einer Scheidung jedoch der Wertzuwachs, den beide Ehepartner während der Ehe gemeinsam erwirtschaftet haben – der sogenannte Zugewinn.  

Die entscheidende Konsequenz für Sie ist: Der Wertzuwachs des Unternehmens während der Ehejahre ist Teil dieses gemeinsamen Topfes und muss für eine faire Teilung exakt bewertet werden. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um eine freiberufliche Praxis, einen Handwerksbetrieb oder eine GmbH handelt; jede Form der selbständigen Tätigkeit stellt einen zu bewertenden Vermögenswert dar.  

Das Ziel: Der "volle, wirkliche Wert" – Ein dehnbarer Begriff

Der Bundesgerichtshof (BGH) fordert für die Berechnung des Zugewinnausgleichs die Ermittlung des "vollen, wirklichen" Werts des Unternehmens. Gemeint ist damit der objektive Verkehrswert – also der Preis, den ein unabhängiger Dritter für das Unternehmen zahlen würde.  

Hier verbirgt sich jedoch eine strategische Leerstelle im Gesetz, die den Kern vieler Auseinandersetzungen bildet. Während der BGH das Ziel klar vorgibt, schreibt das Gesetz bewusst keine konkrete Bewertungsmethode vor. Dies ist keine versehentliche Lücke, sondern eine anerkannte Notwendigkeit, da keine einzelne Methode für jedes Unternehmen gleichermaßen geeignet ist. Dies führt dazu, dass das zuständige Gericht einen erheblichen Ermessensspielraum bei der Wahl des Verfahrens hat. Die Auseinandersetzung um den Unternehmenswert beginnt daher nicht bei den Zahlen, sondern auf der vorgelagerten Ebene der Methodenwahl. Der Erfolg Ihres Anwalts, das Gericht von der für Sie vorteilhaftesten Methode zu überzeugen, entscheidet maßgeblich über die Höhe des ermittelten Unternehmenswerts und damit über die Höhe Ihres Anspruchs.  

Die Bewertungsverfahren im Klartext

Im Wesentlichen kommen drei Methoden zur Anwendung, die zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen führen können :  

  • Die Ertragswertmethode (zukunftsorientiert): Dies ist die gängigste und für profitable Unternehmen oft relevanteste Methode. Sie beantwortet die Frage: "Wie viel Gewinn wird das Unternehmen in den kommenden Jahren nachhaltig erwirtschaften?". Zukünftige Erträge werden prognostiziert und auf den heutigen Tag abgezinst (kapitalisiert). Ein entscheidender Vorteil dieser Methode ist, dass sie auch immaterielle Werte wie den Kundenstamm, die Reputation oder eine starke Marktstellung (den sogenannten "Goodwill") erfasst, die oft den wahren Wert eines Unternehmens ausmachen.  
  • Die Substanzwertmethode (vergangenheitsorientiert): Diese Methode ist deutlich simpler und fragt: "Was würde es kosten, das Unternehmen heute mit all seinen materiellen Gütern wie Gebäuden, Maschinen, Fahrzeugen und Warenlagern von Grund auf neu aufzubauen?". Sie blickt nur in die Vergangenheit und ignoriert die zukünftige Ertragskraft und "weiche Faktoren". Daher wird sie oft als unzureichend kritisiert, kann aber bei Unternehmen mit hohem Anlagevermögen eine Rolle spielen.  
  • Die Liquidationswertmethode (Zerschlagungswert): Diese Methode ermittelt die absolute Wertuntergrenze. Sie beantwortet die Frage: "Was würde man erlösen, wenn man alle Vermögensgegenstände einzeln verkauft und anschließend alle Schulden und Liquidationskosten begleicht?". Sie ist vor allem dann relevant, wenn das Unternehmen nicht profitabel ist oder ohnehin zur Schließung ansteht.  

Typische Manipulationsfelder und wie Sie diese erkennen

Ihr Mann hat als Unternehmensinhaber einen erheblichen Informationsvorsprung und zahlreiche Möglichkeiten, den für die Bewertung relevanten Gewinn zu beeinflussen. Achten Sie besonders auf folgende Punkte:

  • Der "kalkulatorische Unternehmerlohn": Dies ist einer der größten und häufigsten Streitpunkte bei der Ertragswertmethode. Vom prognostizierten Gewinn wird ein fiktives Gehalt für die Arbeitsleistung des Inhabers abgezogen. Je höher dieser fiktive Lohn angesetzt wird, desto geringer fällt der zu kapitalisierende Gewinn und damit der Unternehmenswert aus. Die Gegenseite wird argumentieren, dass die persönliche Leistung Ihres Mannes unersetzlich ist und ein externer Geschäftsführer extrem teuer wäre. Ihr Anwalt muss diese Behauptung durch Branchenvergleiche für Geschäftsführergehälter in ähnlichen Unternehmen relativieren und auf ein realistisches Maß zurückführen.  
  • Latente Steuern: Vom ermittelten Unternehmenswert wird eine fiktive Steuerlast abgezogen, die bei einem Verkauf des Unternehmens anfallen würde. Dieser Abzug ist grundsätzlich legitim, auch wenn kein Verkauf geplant ist. Die Höhe dieser fiktiven Steuerlast kann jedoch ebenfalls Gegenstand von Auseinandersetzungen sein.  
  • Manipulation der Gewinnprognose: Kurz vor dem Bewertungsstichtag können Gewinne künstlich gedrückt werden. Dies geschieht zum Beispiel durch das Vorziehen großer Investitionen, das Verschieben von Vertragsabschlüssen auf die Zeit nach dem Stichtag oder die Bildung überhöhter Rückstellungen.

Die Rolle des Sachverständigengutachtens

Wenn Sie sich nicht auf einen Wert einigen können, wird das Gericht im Streitfall einen unabhängigen Sachverständigen bestellen, der ein Gutachten zum Unternehmenswert erstellt. Es ist jedoch ein strategischer Fehler, passiv auf dieses Gutachten zu warten. Ihr Anwalt sollte bereits im Vorfeld versuchen, das Gericht bei der Auswahl der Bewertungsmethode zu beeinflussen. Zudem kann es sinnvoll sein, ein eigenes Privatgutachten in Auftrag zu geben, um dem Gericht eine fundierte Alternative zu präsentieren und Schwachstellen im gerichtlichen Gutachten aufzudecken.  

Kapitel 3: Der Zugewinnausgleich – Was Ihnen zusteht und wie es berechnet wird

Die Mechanik des Zugewinns einfach erklärt

Die Berechnung des Zugewinnausgleichs folgt einer klaren Logik. Für jeden Ehepartner wird der individuelle Zugewinn ermittelt, also die Differenz zwischen seinem Endvermögen und seinem Anfangsvermögen. Derjenige mit dem höheren Zugewinn muss die Hälfte der Differenz an den anderen ausgleichen.  

  • Anfangsvermögen: Das ist das Vermögen, das jeder Ehepartner am Tag der Eheschließung besaß. Auch Erbschaften und Schenkungen, die einer während der Ehe erhalten hat, werden dem Anfangsvermögen zugerechnet und somit nicht geteilt.  
  • Endvermögen: Das ist das Vermögen, das jeder Ehepartner am Tag der Zustellung des Scheidungsantrags besitzt.  

Die strategische Bedeutung der drei Stichtage

Die drei Stichtage sind nicht nur formale Daten, sondern strategische Ankerpunkte im Verfahren:

  • Stichtag 1 (Eheschließung): Definiert die Startlinie. Eine saubere Dokumentation des Anfangsvermögens (z.B. durch alte Kontoauszüge oder ein notarielles Verzeichnis) ist hier von unschätzbarem Wert.  
  • Stichtag 2 (Trennung): Dient als entscheidendes Kontrollinstrument. Ihr Anspruch auf Auskunft zu diesem Datum (§ 1379 Abs. 2 BGB) ist essenziell, um aufzudecken, ob Ihr Mann zwischen der Trennung und der Einreichung der Scheidung Vermögenswerte beiseitegeschafft hat.  
  • Stichtag 3 (Zustellung des Scheidungsantrags): Dieser Tag (§ 1384 BGB) friert das Vermögen für die Berechnung des Endvermögens ein. Alles, was danach an Wertzuwachs entsteht, fällt nicht mehr in den Zugewinnausgleich.  

Dieser letzte Stichtag kann zu einem taktischen "Rennen" führen. Erwartet Ihr Mann einen erheblichen Vermögenszuwachs – sei es durch einen Unternehmensverkauf, einen großen Bonus oder den Abschluss eines lukrativen Geschäfts –, hat er ein starkes Interesse daran, den Scheidungsantrag so schnell wie möglich zuzustellen, um diesen Zuwachs aus der Berechnung herauszuhalten. Umgekehrt kann es für Sie strategisch klug sein, mit einem eigenen Scheidungsantrag zu warten, wenn Sie von einem solchen bevorstehenden Ereignis wissen. Eine proaktive und gut getimte Vorgehensweise Ihres Anwalts ist hier entscheidend, um Ihre Position zu maximieren.  

Vorsicht Falle: Illoyale Vermögensminderungen

Das Gesetz schützt Sie vor unfairen Manövern. Wenn Ihr Mann nach der Trennung in der Absicht, Sie zu benachteiligen, Vermögen verschwendet, verschenkt oder unter Wert verkauft, werden diese Beträge seinem Endvermögen fiktiv wieder hinzugerechnet (§ 1375 Abs. 2 BGB). Typische Beispiele sind teure Luxusreisen mit der neuen Partnerin, großzügige Schenkungen an Familienmitglieder oder fingierte Darlehen an Freunde. Die Auskunft zum Trennungsstichtag ist der Schlüssel, um solche Handlungen aufzudecken und nachzuweisen.  

Checkliste: Typische Vermögenswerte im Zugewinnausgleich

  • [ ] Unternehmensanteile / Wert der freiberuflichen Praxis
  • [ ] Immobilien (sowohl selbstgenutzt als auch vermietet)
  • [ ] Bankguthaben, Wertpapierdepots, Aktien und Fonds
  • [ ] Lebens- und Rentenversicherungen (zum Rückkaufswert)
  • [ ] Luxusgüter wie teure Fahrzeuge, Kunst, Schmuck oder Uhrensammlungen
  • [ ] Forderungen (z.B. gewährte Darlehen an Dritte)
  • [ ] Verbindlichkeiten / Schulden (diese werden vom Vermögen abgezogen)

Kapitel 4: Ihr zukünftiger Lebensstandard – Der nacheheliche Unterhalt bei hohem Einkommen

Der Grundsatz: Sicherung des ehelichen Lebensstandards (§ 1578 BGB)

Nach der Scheidung gilt zwar der Grundsatz der Eigenverantwortung, doch der nacheheliche Unterhalt soll sicherstellen, dass der wirtschaftlich schwächere Partner seinen Lebensstandard, der während der Ehe geherrscht hat, fortführen kann. Es geht also nicht nur um die Deckung des Existenzminimums, sondern um die Teilhabe am ehemals gemeinsam erreichten Wohlstand. Die Höhe des Unterhalts richtet sich nach den "eheprägenden Lebensverhältnissen".  

Sonderfall Unternehmerfamilie: Die "Sättigungsgrenze"

Bei sehr hohen Einkommen, wie sie in Unternehmerfamilien oft vorkommen, greift eine Besonderheit der Rechtsprechung: die sogenannte "relative Sättigungsgrenze". Gerichte gehen ab einem Netto-Familieneinkommen von etwa 11.000 Euro pro Monat nicht mehr automatisch davon aus, dass das gesamte Geld für den laufenden Lebensunterhalt ausgegeben wurde. Die Vermutung liegt nahe, dass ein erheblicher Teil der Vermögensbildung zufloss. Da Unterhalt aber den Lebensbedarf decken und nicht der weiteren Vermögensbildung dienen soll, wird die einfache Quotenberechnung (z.B. 45 % der Einkommensdifferenz) außer Kraft gesetzt.  

Die Konsequenz: Darlegung des "konkreten Bedarfs"

Die Beweislast kehrt sich nun um: Sie müssen detailliert auflisten, vortragen und im Streitfall belegen, wofür das hohe Einkommen während der Ehe konkret ausgegeben wurde, um Ihren monatlichen Bedarf zu begründen. Diese Aufgabe gleicht einer "forensischen Lebensstilanalyse". Es reicht nicht, pauschal "Urlaub" oder "Kleidung" anzugeben. Sie müssen den gelebten Luxus quantifizieren. Dies erfordert eine akribische Rekonstruktion Ihres gemeinsamen Lebensstils, oft anhand von Kontoauszügen und Kreditkartenabrechnungen der letzten Jahre. Es muss nachgewiesen werden, wie viel Geld monatlich oder jährlich für Wohnen, Mobilität, Urlaube, Hobbys, Kultur und andere Annehmlichkeiten ausgegeben wurde. Diese mühsame, aber entscheidende Aufgabe ist die Grundlage, um einen angemessenen Unterhalt durchzusetzen, der Ihrem bisherigen Lebensstandard entspricht.  

Dauer und Begrenzung des Unterhalts

Der nacheheliche Unterhalt ist nicht unbegrenzt. Er wird nur gewährt, wenn bestimmte gesetzliche Tatbestände erfüllt sind, wie z.B. die Betreuung kleiner Kinder, fortgeschrittenes Alter, Krankheit oder wenn Ihre Einkünfte aus einer angemessenen Tätigkeit nicht ausreichen, um den ehelichen Lebensstandard zu halten (Aufstockungsunterhalt). Nach dem Grundsatz der Eigenverantwortung (§ 1569 BGB) kann der Unterhalt vom Gericht zeitlich befristet werden, insbesondere wenn durch die Ehe keine nachhaltigen beruflichen Nachteile für Sie entstanden sind.  

Checkliste: Posten zur Ermittlung Ihres konkreten Unterhaltsbedarfs

  • [ ] Wohnkosten: Miete oder Zins/Tilgung für eine dem bisherigen Standard entsprechende Immobilie, inklusive aller Nebenkosten.
  • [ ] Haushaltsführung: Kosten für Personal wie Haushaltshilfe, Gärtner oder Nanny.
  • [ ] Lebenshaltung: Ausgaben für hochwertige Lebensmittel, regelmäßige Restaurantbesuche, Feinkost.
  • [ ] Mobilität: Leasingraten, Versicherung, Steuern und Unterhalt für ein dem Standard entsprechendes Fahrzeug.
  • [ ] Persönliche Bedürfnisse: Budgets für Kleidung, Schuhe, Schmuck, Friseur, Kosmetikbehandlungen und Wellness.
  • [ ] Gesundheit: Beiträge zur privaten Krankenversicherung, Kosten für nicht erstattete medizinische Behandlungen, Vorsorgeuntersuchungen.
  • [ ] Urlaub: Detaillierte Aufstellung der durchschnittlichen jährlichen Reisekosten (z.B. für Luxusreisen, Fernflüge, hochwertige Hotels).
  • [ ] Hobbys, Sport und Kultur: Mitgliedsbeiträge (Golfclub, Fitnessstudio), Kosten für Ausrüstung, Abonnements (Theater, Oper), Konzertkarten.
  • [ ] Altersvorsorge: Beiträge für eine private Altersvorsorge, um die durch die Ehe entstandene Lücke in der eigenen Rentenbiografie zu schließen.

Kapitel 5: Strategien und Fallstricke – Wie Sie Ihre Position schützen und stärken

Typische Taktiken der Gegenseite und Ihre Abwehrmaßnahmen

Im Laufe des Verfahrens werden Sie wahrscheinlich mit bestimmten Taktiken konfrontiert, die darauf abzielen, Ihre Ansprüche zu minimieren. Seien Sie darauf vorbereitet:

  • Verschleierung: Im Vermögensverzeichnis werden bewusst Vermögenswerte (z.B. Konten im Ausland, Beteiligungen) weggelassen oder Schulden erfunden.  
    • Abwehr: Hartnäckiges Nachfragen durch Ihren Anwalt, konsequentes Einfordern von Belegen und die Androhung der eidesstattlichen Versicherung.
  • Künstliche Wertminderung: Das Unternehmen wird im Vorfeld des Stichtags gezielt "schlechtgerechnet", um den für die Bewertung relevanten Gewinn zu drücken (siehe Kapitel 2).
    • Abwehr: Analyse der Bilanzen über mehrere Jahre, um untypische Entwicklungen aufzudecken. Beauftragung eines eigenen Beraters oder Gutachters, der die Zahlen der Gegenseite plausibilisiert.
  • Verzögerungstaktik: Das Verfahren wird bewusst in die Länge gezogen, Fristen werden nicht eingehalten, und auf Anfragen wird nur schleppend reagiert. Ziel ist es, Sie finanziell und emotional zu zermürben, bis Sie einem für Sie nachteiligen Vergleich zustimmen.  
    • Abwehr: Ihr Anwalt muss klare Fristen setzen und bei Nichteinhaltung konsequent die nächsten gerichtlichen Schritte einleiten.
  • Verjährung: Manchmal wird versucht, den Zugewinnausgleich aus dem eigentlichen Scheidungsverfahren herauszuhalten, in der Hoffnung, dass Sie den Anspruch vergessen oder zu spät geltend machen. Der Anspruch verjährt drei Jahre nach Rechtskraft der Scheidung.  
    • Abwehr: Bestehen Sie darauf, dass der Zugewinnausgleich immer zusammen mit der Scheidung im sogenannten "Scheidungsverbund" geregelt wird.

Der Antrag auf vorzeitigen Zugewinnausgleich (§ 1385 BGB): Die "Notbremse"

Wenn Sie begründete Befürchtungen haben, dass Ihr Mann Vermögen verschwendet, beiseiteschafft oder sich hartnäckig weigert, Auskunft zu erteilen, gibt es eine strategische "Notbremse": der Antrag auf vorzeitigen Zugewinnausgleich. Mit diesem Antrag können Sie die Berechnung und Auszahlung des Zugewinns bereits vor der Rechtskraft der Scheidung verlangen. Dies setzt den Stichtag für das Endvermögen sofort fest und verhindert weitere Manipulationen. Es ist ein scharfes Schwert, das bei illoyalem Verhalten sehr wirksam sein kann.  

Die außergerichtliche Einigung (Scheidungsfolgenvereinbarung)

Eine außergerichtliche Einigung kann viel Zeit, Geld und emotionale Energie sparen. Eine solche Vereinbarung ist jedoch nur dann eine gute Option, wenn sie auf einer vollständigen und ehrlichen Offenlegung aller Finanzen basiert und Sie sich in einer starken Verhandlungsposition befinden. Unterzeichnen Sie niemals eine Scheidungsfolgenvereinbarung unter Druck oder ohne eingehende Prüfung durch Ihren spezialisierten Anwalt und gegebenenfalls einen Steuerberater.  

Die emotionale Komponente: Wappnen Sie sich für einen Marathon

Eine Unternehmerscheidung ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Der Prozess kann langwierig, komplex und nervenaufreibend sein. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Sie sich ein starkes unterstützendes Netzwerk aus Freunden, Familie und gegebenenfalls professioneller therapeutischer Begleitung aufbauen. Ihre emotionale Stabilität ist die Grundlage dafür, die notwendige Kraft und Klarheit für die anstehenden strategischen Entscheidungen zu bewahren.

Fazit: Ihr Weg in die Zukunft

Die Trennung von einem Unternehmer stellt Sie vor immense Herausforderungen. Doch Sie haben klare Rechte, die Sie schützen. Ihre drei wichtigsten Säulen sind das unumstößliche Recht auf vollständige Auskunft, das Recht auf eine faire und realistische Bewertung des Unternehmensvermögens und das Recht auf eine gerechte Teilhabe am gemeinsam erwirtschafteten Wohlstand.

Wissen ist in diesem Prozess Macht. Je besser Sie über Ihre Rechte, die Bewertungsverfahren und die möglichen Taktiken der Gegenseite informiert sind, desto stärker ist Ihre Verhandlungsposition. Der Weg, der vor Ihnen liegt, ist anspruchsvoll, aber er führt in einen selbstbestimmten und finanziell gesicherten neuen Lebensabschnitt. Sie kämpfen nicht nur um Geld – Sie kämpfen um die Anerkennung Ihrer Lebensleistung und um eine gerechte Grundlage für Ihre Zukunft.

Matthias Prinz

Rechtsanwalt

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